14. Dezember 2023 20 Uhr
Palais Bellevue, Kassel
Schöne Aussicht Nr.2
Eintritt frei! Spende möglich
WOZZECK - Wir arme Leut'
"Eine musikalische Gestentafel" für Altsaxophon- Solo
in Anlehnung an Motive aus Alban Bergs Oper "Wozzeck".
Martin Speicher Altsaxophon, Komposition,
Improvisation
Thema der 15 Szenen ist die Zurichtung des einzelnen, abhängigen
Menschen durch Verhältnisse,
in denen Freiheit, Emanzipation und Würde zu bloßen Floskeln verkommen.
Das Solo versucht aus einer gedachten Perspektive der Rückerinnerung
Wozzecks
das Geschehen während der letzten Tage und Wochen seines Lebens zu
kommentieren.
Mit dem Blick von heute zeigt dieser imaginäre Wozzeck auch seine
zwiespältige Haltung
zum Kunstprodukt Oper auf, indem Elemente populärer Musik immer wieder
Wozzecks eigenes Milieu zum hochentwickelten Material Alban Bergs in
Kontrast bringen.
Menschen wie Wozzeck gibt es heute auch noch.
Überall auf der Welt.
Sie erinnern sich täglich an jene, die ihr Leben zerstören.
An die Herren Generäle, Doctores, Politiker, Kapitalisten.
Unterm Zwang der Lohnarbeit müssen sie gute Miene zum bösen Spiel
machen.
Brosamen in Form billiger Konsumwaren halten sie ruhig.
Ihre Liebesfähigkeit geht im Chaos ihres Lebens zugrunde.
Als Musiker ist es unsere Aufgabe nicht auch noch das Sedativum zu
reichen - auch
wenn Trost wie immer dringend nötig ist.
Der Einspruch gegen die Verhältnisse kündigt auch das Einverständnis
mit den herkömmlichen ästhetischen Mittel und Formen auf.
Wozzeck, nach seinem Tod, beobachtet und erinnert sich an die letzte
Zeit seines Lebens.
Die "Gesten" dieser "Gestentafel" erzählen keine chronologische
Geschichte.
Sie entwerfen subjektive, politische, ästhetische, ideologische,
ethische Varianten
des Verhältnisses des Einzelnen zu den Anforderungen einer
vorgefundenen Gesellschaft.
Mit höchstem Respekt, aber auch mit einem gewissen Schmunzeln, hört
Wozzeck
das Werk von Alban Berg, greift selbst Motive und Ideen daraus auf und
wählt sie
zum Ausgangspunkt eigener Gedanken und Kommentare.
Wozzecks Fragmente wirken dysfunktional in einer Gesellschaft,
deren Antriebsmodus die totale Gleichschaltung auf allen Ebenen ist.
Seine Exkursionen benutzen Bergs Motive aber durchsetzen sie mit
eigenen, einfacheren Gesten, um ihre Fasslichkeit zu erhöhen ohne ihre
Widerständigkeit zu mildern.
Die implementierten improvisierten Akte geben gerade darüber Auskunft.
